Das Mitte Museum lädt zu einem Gesprächsabend über verdrängte Familiengeschichten im Schatten des Nationalsozialismus ein. Die Regisseurin und Stadtführerin Nirit Ben-Joseph („You look so German!“) und der Soziologe Prof. Dr. Dirk Kaesler („Lügen und Scham“) sprechen mit Nathan Friedenberg über Erinnerung, Verantwortung und die Frage, wie Geschichte bis heute nachwirkt. Filmausschnitte und Diskussion öffnen Raum für Austausch.
Donnerstag, 30.10.2025, 18:00 - 20:00 Uhr
„Das erste geschriebene Wort war wie das Ablegen des Schiffes von der Kaimauer, wenn die Leinen los sind. Ich wusste nicht, was mich erwartet.“ (Dirk Kaesler in „Lügen und Scham“ 2023, S. 22)
Ausgehend von dieser Erfahrung und der filmischen Spurensuche von Nirit Ben-Joseph lädt das Mitte Museum zu einem besonderen Gesprächs- und Diskussionsabend ein.
Es sind Geschichten, die aus entgegengesetzten Welten stammen – und doch eine gemeinsame Sprache finden:
Die israelische Regisseurin und Berlin-Gästeführerin Nirit Ben-Joseph wuchs in dem Glauben auf, ihre Familie sei vom Holocaust nicht betroffen. Erst in Berlin entdeckte sie durch eine zufällige Begegnung, dass ihre Verwandten Kurt und Thekla Feuerring hier gelebt hatten, bevor sie von den Nationalsozialisten ermordet wurden. Aus dieser erschütternden Entdeckung entstand ihr Dokumentarfilm „You look so German!“ (2018) – eine persönliche Spurensuche, die Fragen nach jüdischem Leben im „Land der Täter“ stellt, das Schweigen der Familie bricht und eine verdrängte Vergangenheit sichtbar macht.
Prof. Dr. Dirk Kaesler (geb. 1944 in Wiesbaden, im "Heim Taunus" des SS-Vereins "Lebensborn e.V."), emeritierter Soziologe, setzt sich in seinem Buch „Lügen und Scham. Deutsche Leben“ (Berlin: Vergangenheitsverlag 2023) mit der späten Erkenntnis auseinander, im Rahmen des nationalsozialistischen „Lebensborn“-Programms geboren worden zu sein – einem Projekt, das der Förderung einer vermeintlich „arischen Elite“ dienen sollte. Seine autobiografische Spurensuche verbindet persönliche Identität mit kollektiver Geschichte und zeigt, wie stark individuelle Lebenswege von den politischen Brüchen Deutschlands zwischen Kaiserreich, Weimarer Republik, NS-Zeit und Nachkriegszeit geprägt sind.
Im Mittelpunkt des Abends stehen Fragen, die über das Persönliche hinausreichen: Haben Nachfahren von Tätern und Opfern eine besondere Verantwortung? Kann die Suche nach „Wahrheit“ Frieden bringen – oder öffnet sie nur neue Wunden? Wie verändert sich das Selbstbild, wenn verdrängte Geschichte ans Licht kommt?
Der Abend eröffnet mit dem Trailer zu You look so German!. Im Anschluss liest Herr Kaesler aus seinem Buch Lügen und Scham. Darauf folgt ein offenes Gespräch der beiden Gäste, moderiert von Nathan Friedenberg, Leiter des Mitte Museums. Das Publikum ist herzlich eingeladen, sich einzubringen – mitzudenken, zuzuhören und mitzudiskutieren.
Die Veranstaltung findet im Mitte Museum, Pankstraße 47, 13357 Berlin statt.
Eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Der Eintritt ist frei.